Natalia Borisovna Walter

(Letzte Änderung am 10.06.2018)

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Ich habe wohl große Pianisten im Konzert schon erlebt: Pierre-Laurent Aimard, Leif Ove Andsnes, Abdel Rahman El Bacha, François-René Duchâble, Mikhail Pletniov, Radu Lupu, Christian Zimerman - um nur einige zu nennen. Unter allen ist aber nur Radu Lupu, der mich so berührt und musikalisch so beeindruckt hat, wie Natalia Walter.

  

Ende 2007 habe ich sie kennengelernt. Sie war so nett gewesen, hatte mit mir das Programm eines Wettbewerbes geprobt. Ich wurde sofort begeistert! So ein singendes Spiel, solch eine natürliche Musikalität hatte ich selten gehört... Eigentlich nur einmal, bei Radu Lupu. Bei ihr wie bei ihm klang die Musik wie eine Selbstverständlichkeit. Als ob jeder Ton so und nicht anders sein können hätte.

 

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In den nächsten Jahren habe ich das Glück gehabt, mit ihr ein paar Mal aufzutreten und sie in - leider sehr seltenen - Konzerten zu hören.

 

Hätte ich damals eine brillante Solistenkarriere gemacht, hätte ich sie gebeten, mit mir zu konzertieren, und große Konzertagenturen auf sie aufmerksam gemacht. So hätte sie auch in großen Konzertsälen gespielt. Sicher hätte sie die Kenner und die Kritik begeistert, und ihre Kunst wäre endlich anerkannt worden... Ich kämpfte aber in dieser Zeit noch gegen die Dystonie und hatte selber nur seltene und bescheidene Auftrittsmöglichkeiten, hätte ihr also nicht helfen können. Und ich glaube, sie hätte es sowieso nicht gewollt. Vielleicht hat sie sich einfach nie eine große Karriere gewünscht.

  

Sie wohnt in einer ganz kleinen Provinzstadt, ein kleines Städtchen weit vom ersten wichtigen musikalischen Zentrum entfernt. Wie viele dort könnten denn ihren Wert richtig schätzen? Überhaupt, ob in einem Dorf oder einer Hauptstadt, in Hann. Münden wie in Berlin oder Paris, wer keine wirklich tiefe Beziehung zur Musik hat, kann so ein Talent gar nicht wahrnehmen. Dazu noch ist sie viel zu bescheiden, sodass die, die kein tiefes musikalisches Gefühl haben, glauben können, sie sei nur das, was sie von ihr selbst sagt: "Eine normale Frau, die Klavier spielt. Na ja, nicht ganz schlecht. Nu... normal."

  

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Sie ist die Musikerin, die mich am tiefsten berührt hat. Ich wurde von ihrem Spiel tief erschüttert.

 

Wieso denn? Was machte sie denn anders als die Tausenden von Musikern, die ich sonst in meinem Leben schon gehört habe?

 

Natürlich war sie eine exzellente Pianistin und Musikerin, aber es gibt wohl Tausende von solchen. Sicher erlebte sie die Musik wirklich in ihrem tiefen Inneren. Das macht von ihr aber immer noch keinen Einzelfall. Vielleicht lag es also daran - und das ist wohl eine sehr seltene Qualität ! - , dass sie absolut aufrichtig musizierte, ohne sich jemals selbst darzustellen. Sie konzentrierte sich nur auf die Musik...

Ein paar biographische Daten

 

Wie ich bereits schrieb: Sie war extrem bescheiden. Deswegen konnte ich, obwohl ich mit ihrer Familie eng verbunden gewesen bin, nur wenig über ihren Laufbahn erfahren.

 

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Für die Aufnahmeprüfung zum Glinka Konservatorium in Nowosibirsk, 1963, schrieb sie diese kurze Lebensbeschreibung: 

 

"Ich, Kuropatkina Natalia Borisovna, geboren am 6.01.1945 in der Stadt Kemerowo (Kusbass, Sibirien, UdSSR), 1952 in der 1. Klasse der Musikschule N. 20 der Stadt Leninsk-Kusneztki aufgenommen. 1959 an der Musikhochschule in Tomsk aufgenommen, 1963 abgeschlossen. Meine Eltern wohnen in der Stadt Leninsk-Kusneztki. Die Mutter, Kuropatkina Valentina Josephovna, Fernsprechbeamtin. Der Vater, Kuropatkin Boris Tirentiewitsch, Leiter der Grubenbau-Agentur."

 

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"Charakterisierung" (Bescheinigung) nach dem Abschluss

in Nowosibirsk (im typisch sowjetischen Stil...)

 

"An die Studentin-Diplomandin am Glinka Konservatorium Nowosibirsk, Kuropatkina Natalia Borisovna, Klasse von V. T. Vassilienko:

  

Eine begabte Pianistin. Besitzt Lebendigkeit, Natürlichkeit, gute Virtuosen-Fähigkeiten. Darf als Solistin, Lehrerin und Korrepetitorin tätig sein.

 

Der Abteilungsleiter: V. I. Slonim

 

20. April 1968"

 

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Nach ihrem Studium widmete sie sich ihrer Tätigkeit als Klavierlehrerin an der Städtischen Musikfachschule in Bijsk, deren Klavierabteilung sie 20 Jahre lang auch geleitet hat.

 

Im Jahr 2000 siedelte sie mit ihrem Mann* und ihren Kindern nach Deutschland um. In Kassel wurde sie Korrepetitorin an der Institut für Musik der Universität.

 

* Ewald Davidovich Walter (1946-2002), deutschstämmiger Russe, Fagottist und Klarinettist, hatte ebenso am Glinka Konservatorium abgeschlossen und wurde auch Lehrer, dann Leiter der Musikfachschule in Bijsk.

Sie hätte - auch - in großen Konzertsälen in Paris, Berlin, Wien und Moskau, bei großen Festspielen und überall, wo sonst (nicht nur aber auch) so viele schwachsinnige, bloße egozentrische Virtuosen auftreten, spielen sollen...

 

Natürlich haben ihre viele Studenten in Bijsk von ihrem Unterricht profitiert. Trotzdem verlässt mich der Gedanke nicht, dass ihre pädagogische Kunst noch mehr gedient hätte, wenn sie - auch - an einer großen Musikhochschule unterrichtet hätte, wo sonst (nicht nur aber auch) so viele "große Künstler und Professoren" für großes Geld mehr oder weniger tätig sind und sich oft so wenig um die künstlerische Zukunft ihrer Studenten kümmern...

 

Nach ihrer Umsiedelung nach Deutschland - hier im Land von Johann Sebastian Bach, Beethoven und Brahms - begleitete sie an der Uni zukünftige gymnasiale Musiklehrer, dazu ein paar Laien, die ihr Gluck nicht wussten, und sie nahm noch in Hannoversch Münden und in der Region ab und zu an einem kleinen Konzert teil, wo sie vor dreißig Leuten spielte.

 

Eine Geschichte der Verschwendung der Talente...